© charles taylor/iStock
August 2025

Raumfahrtgeschichte: Roboter-Duo im Dialog

Von Volker Paulun
Ich sehe was, was du nicht siehst – was wie ein Kinderspiel klingt, ist ein technologischer Durchbruch: Erstmals haben zwei Roboter unterschiedlicher Raumfahrtagenturen über alle IT-Hürden hinweg auf der ISS miteinander kommuniziert. Das steckt dahinter.

Rund 7.000 verschiedene Sprachen werden von den Menschen auf unserem Planeten gesprochen. Eine beeindruckende Zahl. Nicht minder beeindruckend hoch ist die Zahl der verschiedenen Computersprachen: Es gibt Quellen, die zählen 9.000 Varianten, also mehr als beim Menschen. Wikipedia weist immerhin 700 aus – von A.NET bis ZPL.

Vor diesem Hintergrund ist es umso spannender, dass zwei Roboter aus zwei unterschiedlichen „IT-Kulturkreisen“ mitten im All über alle programmiersprachlichen Hindernisse hinweg anfangen, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ zu spielen – so wie jüngst geschehen auf der ISS.

ICHIBAN heißt das bislang einzigartige Projekt, angelehnt an das japanische Wort Ichiban, das so viel wie „das Erste“ heißt. Die beiden Mitspieler sind der Roboter CIMON des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Int-Ball2 der japanischen Raumfahrtagentur JAXA.

Genauso wenig wie ein deutsches und ein japanisches Kind von ihrer muttersprachlichen Kompetenz darauf ausgelegt sind, miteinander „Ich sehe was, was du nicht siehst“ zu spielen, sind es die Computersysteme der beiden Roboter und die dahinterstehenden Netzwerke. Zumal sie für verschiedene Aufgaben entwickelt wurden und nicht darauf ausgelegt sind, mit anderen Systemen zu interagieren. Daher mussten neue Protokolle und Sicherheitsstandards aufgelegt werden, um diese Lücke zu schließen. Computersprachlicher Nachhilfeunterricht sozusagen. Und dies alles mit Blick auf die hohen Sicherheitsstandards der ISS.

So lief das Spiel im All ab

© DLR/ESA/JAXA/NASA

Astronaut Takuya Ōnishi fungierte als Spielleiter im europäischen Columbus-Modul. Er gab Sprachbefehle an CIMON, die über die dahinterstehenden Netzwerke in die Computersprachwelt von Int-Ball2 übersetzt wurden. Der japanische Computerball schaute sich daraufhin räumlich getrennt in seinem Modul um und versuchte, die „Ich sehe was, was du nicht siehst“-Objekte zu finden. In diesem Fall versteckte Gegenstände wie einen Zauberwürfel, Werkzeuge oder auch einen Int-Ball-Vorgänger. Bei einem Treffer sendete Int-Ball 2 entsprechende Bilder an CIMON. Auch das ein Novum – zuvor hatte der kugelige Computer ausschließlich Bilder ans japanische Kontrollzentrum auf der Erde gefunkt.

„Die ICHIBAN-Demonstration einen bedeutenden Meilenstein in der Weltraumrobotik dar."

Dr. Christian Rogon, ICHIBAN-Projekteiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR

Wie Eltern, die sich über Lernfortschritte und konstruktive Interaktion ihrer Kinder freuen, waren auch die am spielerischen Experiment im All beteiligten Wissenschaftler begeistert. „Die erstmalige Kommunikation zwischen den unabhängig entwickelten Systemen CIMON und Int-Ball2 weist den Weg für die Vernetzung von künstlicher Intelligenz und Robotik in der Exploration. Diese Leistung wird die Unterstützung für Astronautinnen und Astronauten maßgeblich verbessern“, sagt Dr. Christian Rogon, ICHIBAN-Projekteiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR.

Das ist der praktische Nutzen

Die beiden neu vernetzten Systeme könnten in Zukunft zusammenarbeiten, um Experimente zu unterstützen und sie fotografisch zu dokumentieren. Zudem könnten sie das Innere der ISS mit einer Kamera auf Defekte untersuchen. Außerdem könnten sie frei schwebende Objekte aufspüren, die eine Gefahr für die Besatzung und die Experimente an Bord darstellen könnten.

Was zunächst einfach klingt, ist eine Premiere im All. Hierzu mussten nicht nur zwei Systeme miteinander interagieren, die niemals dafür designt wurden, sondern auch die hohen Sicherheitsstandards der ISS erfüllen. Sie erlauben normalerweise nicht, über die Grenzen der verschiedenen Netzwerke in den unterschiedlichen Modulen der ISS hinweg zu kommunizieren.

Das sind die beiden Mitspieler: CIMON-2 und Int-Ball2

CIMON (Crew Interactive Mobile Companion) befindet sich seit 2018 auf der ISS. Er ist der erste Roboter, der eine künstliche Intelligenz nutzt, um freischwebend mit der Crew der ISS zu interagieren. Das Astronauten-Assistenzsystem kann sehen, hören, verstehen und sprechen. Als lernendes System kann er auch ungeübte Tätigkeiten übernehmen. Neben seiner wissenschaftlichen Mitarbeit dient CIMON auch der Unterhaltung, sei es mit dem Vorspielen von Musik und einem kleinen Schwätzchen zwischendurch. CIMONs Name erinnert nicht zufällig an „Professor Simon Wright“, den robotischen Assistenten – das „fliegende Gehirn“ – aus der japanischen Science-Fiction-Serie „Captain Future“.

Int-Ball2 ist eine kugelrunde und mit Kameras ausgestattete Drohne der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA. Sie befindet sich seit 2024 auf der ISS und wird vom Boden aus gesteuert. Int-Ball2 ist im japanischen Kibo-Modul stationiert und ermöglicht dem Bodenkontrollteam, ohne die Hilfe von Astronautinnen und Astronauten jeden Ort und jeden Blickwinkel des Kibo-Moduls zu filmen. Hierdurch werden die Raumfahrenden entlastet, die zuvor ungefähr zehn Prozent ihrer Arbeitszeit zum Fotografieren aufwenden mussten.

Raumfahrtgeschichte: Roboter-Duo im Dialog© JAXA/NASA