Wie Hightech das Bauchgefühl ablöst
Hightech als kluger Taktiker
„Während Daten zur sportlichen Leistung, etwa über Torschüsse, Ballbesitz oder Geschwindigkeit, in die Bewertung einfließen, bleibt auch Jürgen Klopps persönliche Einschätzung zur Teamdynamik zentral." Ulrich Lichtenthaler, Professor für Management und Entrepreneurship an der International School of Management (ISM)
Strategische Entscheidungsfindung im Profifußball ist keine reine Bauchgefühl-Sache mehr von Trainern. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“, sagte „Kaiser“ Franz Beckenbauer einst bei der Weltmeisterschaft 1990. So einfach ist das nicht mehr. Heute liefern GPS-Westen mit Sensoren Echtzeitdaten zu Geschwindigkeit, Herzfrequenz und Laufwegen – der Fußballer wird zur Quelle einer datengetriebenen Trainingssteuerung. Intelligente Einlegesohlen oder andere Hightech-Wearables warnen, bevor es in der Wade zwickt. Künstliche Intelligenz prognostiziert Spielverläufe, analysiert Gegnerverhalten und schlägt taktische Anpassungen vor – der digitale Co-Trainer ist Realität.
So auch beim früheren Champions-League-Sieger FC Liverpool. Dort möchte man der Kicker-Weisheit „Eckstöße haben ein hohes Potenzial für Tore“ technisch „unter die Arme greifen“. Die Engländer arbeiten gemeinsam mit Google an einem KI-Modell, das Ecken analysiert und optimale Strategien vorschlägt. „TacticAI“ schlägt auf Basis historischer Daten vor, welcher Spieler wohin laufen sollte oder wie der Ball platziert werden muss. „Als Trainer könnte ich dann die Taktik meiner Spieler so verändern, dass sie die Schwachpunkte der Gegner ausnutzen“, so Entwickler Petar Veličković von Google DeepMind.
Technologie im Fußball ist aber nicht nur ein Werkzeug zur Taktik- und Trainingssteuerung – sie ist auch strategischer Partner bei der Kaderplanung. Was früher das eingangs erwähnte Bauchgefühl eines Managers war, übernimmt heute der Algorithmus: Vereine wie der spanische Traditionsklub FC Sevilla planen ihre Kader mit der Software „IBM watsonx“ – und treffen datenbasierte Entscheidungen über Millionen-Transfers. Die Plattform analysiert nicht nur Leistungsdaten, sondern auch Verletzungshistorien, psychologische Profile und Entwicklungspotenziale.
Von der Plattform „Plaier“ profitieren auch kleinere Vereine, da sie mehr als 100.000 Spieler weltweit – auch aus weniger beachteten Ligen in Afrika oder Asien – anhand von mehr als 200 Parametern analysiert. Daraus wird ein KI-Score berechnet, der zeigt, wie gut ein Spieler zur Spielphilosophie und zum Kader eines Vereins passt. So wird aus Big Data ein smarter Transfer.
Im Weinberg der Technik
10–15 Prozent Wasser kann durch präzise Bewässerung im Weinbau eingespart werden, wenn Drohnen und Bodensensoren kombiniert eingesetzt werden.
Sensible Reben, smart bewässert – moderne Winzer setzen auf präzise Technik statt auf verwurzelte Gewohnheiten. Drohnen starten über den Reben, fliegen autonom und liefern hochauflösende Bilder. Parallel messen vernetzte Bodensensoren kontinuierlich Feuchtigkeit, Temperatur oder Nährstoffgehalte – daraus ergeben sich datenbasierte Bewässerungsempfehlungen auf den Milliliter genau.
Technologien wie Drohnen mit Multispektralkameras messen reflektiertes Licht in verschiedenen Wellenlängenbereichen. So sind Nahinfrarot-Reflexionen ein wichtiger Indikator für Vitalität. KI-gestützte Plattformen wie „VineSignal“ aus Frankreich kombinieren diese Bilddaten mit Bodenfeuchtemessungen bis zu 1,5 Meter Tiefe und liefern Vorhersagen zur optimalen Ernte oder präzisen Bewässerung.
In Spanien hat das Pago Aylés-Weingut über 100 IoT-Sensorstationen installiert – sie messen Bodenfeuchte, Temperatur, Wind und Regen, senden Daten in die Cloud und schaffen damit Entscheidungsgrundlagen für Bewässerung, Pflanzenschutz und Qualität. Das Ergebnis: bis zu 50 Prozent Einsparungen bei den Produktionskosten und eine Qualitätssteigerung um 25 Prozent im ersten Projektjahr. „Wir benötigen dringend Informationen, die es uns ermöglichen, frühzeitig Entscheidungen zur Produktionsstrategie zu treffen. So können wir die Produktion hinsichtlich Qualität und Quantität standardisieren“, erklärt Agrarwissenschaftler Julio Prieto.
Und wenn es um Sprühtechnik im Weinberg geht, sind Drohnen mittlerweile mehr als bloße Tüftelspielzeuge: Mit LiDAR-Sensoren ausgestattet, KI-basierter Krankheitsdetektion und einer variablen Tropfengröße reduzieren Drohnen Pestizide um 20 bis 60 Prozent, verursachen keine Bodenverdichtung und sparen Arbeitszeit.
Data à la Carte
20.000 Euro zusätzlichen Umsatz können Gastronomen allein durch eine optimierte Menügestaltung generieren – anstatt auf das Bauchgefühl zu vertrauen.
Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert zunehmend die Gastronomie – nicht nur in der Küche oder im Service, sondern auch bei der strategischen Menügestaltung. Datengetriebenes Menü-Engineering ermöglicht es Restaurants, ihre Speisekarten gezielt zu optimieren und neue Gerichte mit höherer Erfolgschance einzuführen.
Traditionell basierten Entscheidungen über das Menüangebot oft auf subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen. Heute nutzen Gastronomen KI-Tools, um fundierte, datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit zwischen Metro und Dish Digital Solutions. Ihre KI-gestützte Menüanalyse bewertet nicht nur die Beliebtheit und Rentabilität einzelner Gerichte, sondern berücksichtigt auch Faktoren wie Wareneinsatz, Personalaufwand und saisonale Trends. So können Gastronomen erkennen, welche Gerichte profitabel sind und welche möglicherweise aus dem Menü gestrichen werden sollten. Metro-Geschäftsführer Dr. Steffen Greubel: „Die Branche sollte die Potenziale stärker nutzen und sich auf die digitale Transformation einlassen, um auch unter schwierigeren Rahmenbedingungen erfolgreich wirtschaften zu können.“
Ein Beispiel aus der Praxis: Das Restaurant Casa Lodato Da Giovanni in Essen setzte KI ein, um seine Speisekarte zu optimieren. Die Analyse ergab, dass bestimmte Gerichte wie Fregola mit Artischocken zwar beliebt waren, jedoch nicht wirtschaftlich rentabel. Daraufhin wurden Preise angepasst, Gerichte umplatziert und weniger profitable Optionen entfernt. Das Ergebnis war eine gesteigerte Rentabilität bei gleichbleibender Gästezufriedenheit.
Weitere KI-Tools wie Tastewise analysieren kontinuierlich Millionen von Social-Media-Beiträgen, Online-Bewertungen und Speisekarten weltweit. So identifizieren sie aufkommende Food-Trends und Geschmackspräferenzen in Echtzeit. Restaurants können diese Erkenntnisse nutzen, um neue Gerichte zu entwickeln, die den aktuellen Vorlieben ihrer Zielgruppe entsprechen.
Plattformen wie RecipeGPT ermöglichen es Gastronomen, neue Rezepte zu generieren, indem sie Zutaten und gewünschte Geschmackskomponenten eingeben. Die KI schlägt daraufhin kreative Rezeptideen vor, die auf bestehenden kulinarischen Daten basieren. Das unterstützt Köche dabei, innovative Gerichte zu entwickeln, die sowohl geschmacklich ansprechen als auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sind.
Catwalk im Metaverse
„KI ist ein Game Changer, der Kreativität in spannende neue Richtungen treibt.“ Stardesignerin Hillary Taymour
Strategische Entscheidungen in der Modebranche folgen längst keinem instinktiven Impuls mehr – sie basieren auf Daten, Algorithmen und digitaler Kreativität. Was früher Skizzen auf Papier und manuelle Stoffauswahl waren, wird heute durch KI-gestützte Prozesse ersetzt: von virtuellen Showrooms über personalisierte Avatare bis hin zu automatisiert generierten Kampagnenbildern.
Ein Beispiel: Zalando nutzt generative KI, um Bildproduktionen drastisch zu beschleunigen. Laut Matthias Haase, Vize-Präsident Content Solutions bei Zalando, sanken die Produktionszeiten von sechs bis acht Wochen auf nur drei bis vier Tage – die Kosten reduzierten sich dabei um bis zu 90 Prozent. Inzwischen stammen rund 70 Prozent der redaktionellen Bilder aus KI-Systemen. Große Kreativität wird plötzlich skalierbar.
Aber auch virtuelle Mode boomt. Die App Doji verwandelt zum Beispiel Selfies in digitale Avatare, auf denen Nutzer Kleidung virtuell anprobieren. Noch einen Schritt weiter geht das New Yorker Label Collina Strad: Für eine Kollektion ließ Chefdesignerin Hillary Taymour mithilfe von KI „digitale Wesen“ entwerfen, die auf der virtuellen Laufstegplattform „The Fabricant“ präsentiert wurden.
„The Fabricant“ hat sich als Pionierin im Bereich digitaler Mode etabliert, indem sie NFTs nutzt, um digitale Kleidungsstücke zu handelbaren Assets zu machen. Designer, Marken und Konsumenten können dort Outfits kreieren, präsentieren und in Form von Non-Fungible Tokens erwerben. Die Mode kann dann in verschiedenen digitalen Umgebungen innerhalb des Metaversums getragen werden. Ein durchaus relevantes Thema zum Beispiel für Gamer.
Zurück in die analoge Welt, denn auch dort verändert Hightech hinter den Kulissen so einiges: Laut Prof. Dr. Ingo Rollwagen von der Akademie Mode & Design Berlin erleben wir eine „Wissensrevolution in der Modebranche“. KI-Systeme unterstützen Designer längst nicht mehr nur als digitale Assistenten, sondern greifen tief in kreative und organisatorische Prozesse ein. Sie analysieren etwa in Sekundenbruchteilen, wie sich nachhaltige Materialien wie Tencel – eine innovative Zellulosefaser, die aus Holz gewonnen wird – Hanf oder recycelte Fasern optimal kombinieren lassen, erkennen automatisch harmonische Farbpaletten und helfen, globale Trends in Echtzeit zu operationalisieren. Damit verschiebt sich der Fokus: Weg von reiner Intuition, hin zu datengetriebenen Entscheidungen, die Kreativität nicht ersetzen, sondern erweitern soll.